Bernd Henningsen

 

Ausstellungsbilder

 

Schwedische und norwegische Konstruktionen und Missverständnisse von Identität

 

 

 

 

Die politische Bilder- und Metapherngeschichte ist eine solche der longue duré. Vor allem das 19. Jahrhundert füllte die politischen (Symbol-)Sprachen und die kulturellen Vorstellungen im Identitätshaushalt der Nationen mit Bildern auf, die sich seither hartnäckig im Bewusstsein der Menschen erhalten haben. Das 19. Jahrhundert brauchte die bildlichen Vorstellungen und die neuen politischen Symbole zur identifikatorischen Abfederung der neuen Legitimierung von Politik und Herrschaft. Begründete sich Macht und Herrschaft vor 1789 (überwiegend) auf Gottesgnadentum und dynastische Legitimität, so bedurfte es (spätestens) nach der Revolution und mit der Etablierung der Volksherrschaft einer anderen Qualität von (Macht-) Legitimität.

Die Skandinavien-Ausstellung von 1997/98 in Berlin, Stockholm und Oslo, die unter dem Titel “Wahlverwandtschaft” gezeigt wurde, hat gezeigt, dass es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine oder nur schwache Vorstellungen und Abbilder von den praktischen Alltagseinrichtungen der nordisch-germanischen Vorfahren gegeben hatte. Aufgrund dieser Leerstelle in der kulturellen Überlieferung lieh man sich diese Bilder aus Geschichte und Mythologie anderer Regionen.

Nicht nur Skandinavien-Kenner sind vertraut mit den Heldenmonstern und den Lichtgestalten des europäischen Nordens, die man in der Ausstellung bewundern konnte und die heute nur noch lächerlich wirken und die auch kaum noch Anziehungskraft selbst für Hollywood haben, die aber einmal als Symbole für nationale Eigenschaften herhalten mussten: Wotan, Tor, Freya, Frithjof, die Wikinger, die Löwen und die Lichtanbeter - als Statuen, als monumentale Ölbilder, als Miniaturen. Der nationale Kitsch, das zeigen diese Bilder, ist grenzenlos und kaum überbietbar.

Der Kulturaustausch des 19. Jahrhunderts zwischen Skandinavien und Deutschland hat gut gemeinte Vorstellungen vom jeweils Anderen produziert, die aber in eine schreckliche Geschichte und Wirklichkeit mündeten. Gleichwohl haben die politischen Erfahrungen nicht dazu geführt, diese dem Orkus des Vergessens anheim zu geben. Die Aufarbeitung mit diesem Ziel wäre auch eine vergebliche Mühe, denn Bilder und Vorstellungen vom Anderen haben Funktionen, solange diese weiterbestehen, werden auch die alten Bilder weiterexistieren.

Stehen am Anfang der skandinavisch-deutschen “Wahlverwandtschaft” die Bilder vom Norden, die sich seit der Antike im kollektiven Gedächtnis der Europäer festgesetzt haben, dann wurden sie durch die Bilder der Romantik und des Biedermeiers im 19. Jahrhundert koloriert – sei es in der Malerei, den Künsten oder der Literatur. Sehnsucht und Fernweh sind ihre Ingredienzien, aber auch Projektionen und Verschiebungen – die eigene (nationale) Wirklichkeit wird als höchst mangelhaft erfahren, eine andere wird imaginiert, die Realität verschwimmt, sie bleibt außerhalb der Bilder. Nicht nur bei Friedrich und Dahl stehen die Bildgestalten mit dem Rücken zum Betrachter und blicken in Richtung auf einen fernen Horizont – im übertragenen Sinne tun dies auch die Literaten, die Philosophen und die Intellektuellen und zu einem guten Teil auch die Politiker. Die Realität befindet sich dort, wo der Betrachter steht, vor dem Rahmen, außerhalb der Bilder. Die Figur, die angeschaut wird, wendet sich ab, man sieht sie von hinten: Das ist das Sinnbild des 19. Jahrhunderts: es ist der Traum, von einer anderen Welt – aus der Realität sind wir bereits herausgetreten, das Reich der Freiheit liegt am Horizont (in ferner Reichweite), das Reich der Notwendigkeit ist bereits durchlebt, es kommt im 20. Jahrhundert unerbittlich über uns, als die Imagination brutale politische Wirklichkeit wird.

Was in der Regel nicht bewusst wird, das ist die kulturelle Gemeinschaft des 19. Jahrhunderts, die, wie konstruiert auch immer sie gewesen sein mag, eine erhebliche europäische gewesen ist.

 

 


Skandinavien Ausstellung 1997/98, Schwedisches Plakat

 

 


 Skandinavien Ausstellung 1997/98, Deutsches Plakat

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