Andrzej Gniazdowski

 

Das Ende des Politischen

 

Die Phänomenologie als kritische Demokratietheorie

 

 

 

 

Die Forschungsbereiche der gegenwärtigen Demokratietheorie und der heute betriebenen Phänomenologie gelten als sowohl sachlich als auch methodologisch so unterschiedlich, dass wer sich einer dieser Disziplinen widmet der allgemein herrschenden Meinung nach von der anderen nichts wissen darf. Was ich in meinem Vortrag zu untersuchen vorhabe, sind die mögliche Gründe dieser gegenseitigen Ignorierung: Ich möchte fragen, ob ihr wirklich eine selbstbewusste theoretische Selbstbestimmung, oder eher eine gegenseitige, von sich selbst verschuldete Ignoranz der beiden Disziplinen zugrundeliegt. Zum Thema dieser Untersuchung sollen somit die Bedingungen einer theoretischen “Kommunikation” der Phänomenologie und Politikwissenschaft werden, die eine radikale phänomenologische Forschung im Bereich der Demokratietheorie ermöglichen könnten.

Zum Dritten der Diskussion zwischen Phänomenologie Politikwissenschaft soll hier Eric Voegelin und seine Kritik der neuzeitlichen politischen Wissenschaft werden. Der von Voegelin der gegenwärtigen Politikwissenschaft vorgeworfene “Positivismus” und “Relativismus” sowie sein Postulat, der neuen Wissenschaft der Politik durch den Rückgang auf ihre ersten theoretischen Gründe wieder den Rang einer rationalen episteme politike einzuräumen, soll aus dem Gesichtspunkt meiner Untersuchung wenigstens das Thema der Kommunikation zwischen der Phänomenologie und der gegenwärtigen Politikwissenschaft bestimmen. Ich möchte nämlich fragen, inwieweit die radikale Wissenschaftskritik, die in Husserls Hauptwerk Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie am deutlichsten zu Wort gekommen ist, zur Bewältigung dieser von Voegelin gestellten Aufgabe beitragen könnte. Zum Bezugspunkt der Rekonstruktion des möglichen Weges, der von dem “logischen Platonismus” der Husserlschen Logischen Untersuchungen zur Wiederherstellung der episteme politike im ursprünglichen Sinne der Wissenschaft der Politik als einer echten Theorie führen soll, wird für mich aus diesem Grund in erster Linie die von Klaus Held entworfene Phänomenologie der politischen Welt.

Indem die Analysen von Held den Sinn der phänomenologischen Methode “verweltlichen” und sie sozusagen detranszendentalisieren, können sie meiner These nach als die absolut fundamentale Untersuchungen aus dem Bereich der implizit von Husserl postulierten “politischen Ontologie der Lebenswelt” verstanden werden. In Anknüpfung an diese Analysen möchte ich zeigen, dass einerseits erst die phänomenologische Rückkehr zu den “politischen Sachen selbst” die volle theoretische Radikalität sowie die praktische Lebensbedeutsamkeit des Phänomenologie-Projektes an den Tag bringen kann. Andererseits möchte ich aber auch darauf verweisen, dass insbesondere die politische Erfahrung unserer faktischen Gegenwart den eigentlichen Anlass dazu gibt, um ausgerechnet in dem phänomenologischen theoretischen Ansatz die Möglichkeit einer “Retheoretisierung” der neuzeitlichen Politikwissenschaften zu suchen.

Der Kontext des gegenwärtigen, sich als clash of civilisations verstehenden Weltkonflikts stellt meiner These nach die heutige Politikwissenschaft in erster Linie vor die Frage nach der Möglichkeit der Retheoretisierung der gegenwärtigen Demokratietheorie, d. h. nach der Möglichkeit ihrer theoretischen Rechtfertigung als Theorie. Es handelt sich in diesem Zusammenhang um die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer solchen Theorie der Demokratie, die ihren Anspruch auf Universalität, auf ihre allgemein verbindliche, “absolute Geltung” rechtfertigen könnte. Wenngleich dieser Anspruch als “naiv” in der gegenwärtigen Demokratietheorie keineswegs ausdrücklich erhoben wird, erweist er sich dennoch – was die Irak-Krise vielleicht am schärfsten gezeigt hat – als die immer weniger verborgene Prämisse der gegenwärtigen, demokratischen Praxis.